14. 01. 2022

„FOFO – Fear Of Finding Out“ bei digitalen Projekten?

Das Jahr ist noch jung, unaufgeregt und leicht verschlafen. Und auch, wenn es im grauen Winter startet, mag ich diese Zeit sehr gern, da mit dem Beginn des Neuen ein gewisser Ballast abgeworfen zu sein scheint und das neue Jahr wie ein leeres Blatt Papier vor mir liegt, das nur darauf wartet, beschrieben zu werden. Es ist auch die Zeit, in der der Abstand zur Routine besser gelingt. Der Blick auf die Dinge ist jetzt vielleicht ehrlicher, weil es ja das Vergangene ist, was nun besser reflektiert werden kann und die Chance hat, neu betrachtet zu werden.

Beim Durchstreifen verschiedener Artikel im Internet bin ich auf den Begriff FOFO gestoßen – das Gegenteil von FOMO, Fear Of Missing Out. Die Abkürzung FOFO steht für Fear Of Finding Out und beschreibt die Angst vor dem Herausfinden einer unangenehmen Wahrheit oder Information. Im medizinischen Umfeld findet man FOFO zum Beispiel bei Menschen, die aus Angst vor einer Diagnose nicht zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen. Aber auch in anderen Lebensbereichen kann uns diese Angst begegnen – oft dann, wenn Gleichgültigkeit, Desinteresse oder Achtlosigkeit vorherrschend zu sein scheint. Das kann dazu führen, dass falsche Annahmen und als Folge Fehlentscheidungen getroffen werden. Ein Klassiker dabei sind wohl unpassende Weihnachtsgeschenke. Manchmal steckt die Angst dahinter, durch das Beschäftigen mit seinem Gegenüber die wirklichen Wünsche zu erfahren. So verrückt das auch klingen mag. Aber vielleicht könnte es ja ein Wunsch sein, den sich Schenkende nicht leisten können, oder für dessen Vorbereitung keine Zeit mehr da ist. Und irgendwie lenkt mich diese Überlegung und das Beschäftigen mit diesem Thema immer mehr in die Berufswelt und die Erfahrungen, die ich bei manchen Projekten gemacht habe.

Angst vor Nutzerbedarf?

Auch wenn immer häufiger ein nutzerzentriertes Vorgehen bei der digitalen Produktentwicklung formuliert wird, ist das leider nicht immer konsequent umgesetzt. So kommt zum Beispiel der Designer oder die Designerin, in der Rolle als Advokat:in für die Nutzer:innen, oft erst nach dem Userrecherche hinzu. Oder der Research fand ohne klare Zielgruppendefinition statt. Konzepte entstehen in „höheren Managementebenen“ oder manchmal wurde bereits mit der Entwicklung angefangen, bevor die erste Validierung mit Anwender:innen sattfindet. Die Gründe für ein solches Vorgehen können vielfältig sein. Mal ist es das knappe Budget, mal die fehlende Zeit und der Druck „etwas zeigen zu müssen“, mal blinder Aktionismus.

Es sind die Nutzer:innen, die auf der Strecke bleiben, weil nicht sie, sondern Zeit, Geld oder geschäftspolitische Gründe im Vordergrund stehen. Dabei ist es wichtig, alle Umstände zu kennen, um damit zu arbeiten und eine Lösung zu entwickeln, die für die Menschen brauchbar ist. Ein ehrlicher Umgang damit kann sich herausfordernd anfühlen. Und ich frage mich, ob hier FOFO dahinterstecken könnte – also die Angst, sich all diese Voraussetzungen, vielleicht bereits getroffenen Fehlentscheidungen und die wirklichen Bedarfe anzuschauen. Per Definition ist Angst eine Reaktion auf eine bedrohliche Situation. Bedrohlich, weil wir gefühlt keine Kontrolle darüber haben. Doch ist das so? Haben wir wirklich keine Kontrolle? Und was braucht es, um diese Kontrolle zu bekommen? Wie kann ich als Designerin oder Researcherin damit umgehen, wenn ich FOFO in digitalen Produktentwicklungen bemerke?

In der Medizin gibt es hier einen Ratgeber, der beschreibt, wie Betroffene mit FOFO begleitet werden können. Ich habe versucht diesen Leitfaden so zu formulierten, dass er auch im Bereich der digitalen Projektgestaltung Anwendung finden könnte.

Sieben Schritte zur Überwindung der „Fear Of Finding Out – FOFO“

  1. Was treibt dich um – was bewegt dich gerade? (z.B. Budgetmangel, Zeitmangel, Erwartungshaltungen…)
  2. Was hält dich davon ab, etwas über die Nutzer:innen herauszufinden? Was würde es bedeuten, etwas über die Bedarfe der Nutzer:innen herauszufinden? (z.B. Zugeständnis der Fehlplanung durch falsche Annahmen)
  3. Was ist das Ziel dieses Projektes? (z.B. den Buchungsprozess durch Digitalisierung vereinfachen und Kosten im Personal zu sparen) Was, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird?
  4. Wem soll das Produkt helfen? Was würde passieren, wenn es das Produkt nicht gäbe? Was würde passieren, wenn das Produkt von den Nutzer:innen nicht angenommen wird?
  5. Zuhören! Offene Fragen stellen – was, wer, wie, wann, wo? Das Gesagte wiederholen, damit das Gegenüber es selbst nochmal hören kann. (Stichwort: spiegeln)
    Bis hierhin wurde im besten Fall ein ehrliches Eingeständnis über die Umstände gemacht und die Erkenntnis erlangt, dass das Ignorieren der Nutzerbedürfnisse zu falschen Entscheidungen führen wird.
  6. Was braucht es, um auf die erkannten Umstände adäquat eingehen zu können? (z.B. ein Workshop mit allen Stakeholdern, um über Zeit und Budget zu sprechen und zu planen)
  7. Was wirst du jetzt tun? Wer kann dir helfen? Wie kann ich dich unterstützen?

Fazit

Als Designer:in überwinden wir täglich unser eigenes FOFO. Es ist unsere Aufgabe, immer wieder Fragen zu stellen, uns zu offenbaren und etwas Neues in dieser Welt zu erschaffen; Angst in Neugier zu verwandeln und Neugier in Treibstoff, um die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Ich biete diese Fragen als Leitfaden für offene und ehrliche Gespräche an, um Klarheit darüber zu gewinnen, was unsere Nutzer tatsächlich brauchen. Am Ende des Tages geht es um Ehrlichkeit. Und Ehrlichkeit braucht Mut, Neugierde und Offenheit. Vielleicht sind diese drei Begriffe gute Begleiter durch das neue Jahr. In diesem Sinne: Ein frohes neues Jahr.

DoreenFinal klein
von Doreen Papst
Digital Experience Design

Kontakt

D‑LABS GmbH
info@d-labs.com
Marlene-Dietrich-Allee 15
14482 Potsdam
+49 331 97 992 300
potsdam@d-labs.com
Matkowskystraße 2
10245 Berlin
+49 30 29 387 978
berlin@d-labs.com
Königstraße 21
70173 Stuttgart
+49 711 99 796 266
stuttgart@d-labs.com